Das sage ich manchmal zu meinem Mann, wenn wir irgendwo hin gehen. Er ist größer, hat längere Beine und macht größere Schritte. Damit wir gleichzeitig ankommen, erinnere ich ihn an kürzere Schritte und hake mich ein. In den Sommerferien waren wir mit zwei anderen Familien essen. Das Warten auf das Essen war genauso schön wie das Essen selbst. Wir haben geredet, die Kinder haben Karten gespielt und wir haben der Sonne beim untergehen zu gesehen.
Warten ist nicht immer so angenehm und dennoch eine spannende Tätigkeit, die einen tieferen Blick verdient. Ich habe dazu gerade ein spannendes Buch von Timo Reuter gelesen „Warten – eine verlernte Kunst.“ Schon der Klappentext hat mich angesprochen. Ich habe mich ertappt gefühlt, als ich den Satz gelesen habe: „Jedes Mal ist der Stillstand des Wartens eine Bewährungsprobe, denn als moderne Menschen haben wir eines natürlich nie: Zeit.“
Timo Reuter, der als Journalist arbeitet und Philosophie und Mathematik studiert hat, betrachtet das Warten als ein Geschenk, eine kurze Pause im hektischen Alltag, um mal inne zu halten. Denn wir leben in einer Zeit, in der uns die Zeit abhandenkommt.
Das, was mir an dem Buch gut gefällt, ist, dass sein Autor erstmal schaut, woher das Wort warten kommt und wie es sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat. Warten hat etwas mit Macht zu tun. Oft ließen Könige und Herrscher andere Menschen warten, bis sie zur „Audienz“ bereit waren. Auch heute kann es sein, dass ein Mitarbeiter lange auf einen Termin beim Chef wartet, weil dessen Kalender so voll ist. Das macht etwas mit dem Wartenden.
Besonders spannend finde ich auch die Überlegung, wann die Zeit ins Warten kam. Früher war das Warten von einem zyklischen Zeitverständnis geprägt, von Sommer und Winter, Regen und Trockenheit, Sonnenauf- und untergang. Die Zeit war nicht linear und damit verloren, wenn sie einmal vorbei war. Die Kreisläufe kamen immer wieder.
Das Verb \“warten\“ hat altgermanische Wurzeln und hieß „ausschauen, aufpassen, erwarten“ und auch im Sinne von pflegen „warten, hüten, bewohnen“. Ein Wärter ist jemand, der auf etwas aufpasst. Bestimmte Dinge brauchen eine regelmäßige Wartung. Altmodisch ist inzwischen der Gebrauch von „jemandem seine Aufwartungen machen.“ Wir nutzen heute das Warten in der Bedeutung „etwas Kommenden entgegensehen“. Spannend ist dabei, die Feinheit, dass beim Verb „erwarten“ immer das auf jemanden oder etwas dabei ist, während wir „warten“ auch ohne Zeit und Zielperson oder Ereignis können. Im Spanischen heißt „esperar“ sogar sowohl warten als auch hoffen. Das hat noch eine zusätzliche Komponente.
Oft fühlen wir uns beim Warten fremdbestimmt, denn wir gehorchen fremden Zeitplänen. Wir warten auf einen Bus, einen Arzttermin oder wir stehen im Auto im Stau. Natürlich gibt es auch existentielles Warten. Das Warten auf den Regen in einer Dürreperiode oder das Warten auf eine Spenderniere. Doch beim alltäglichen Warten hat Timo Reuter schöne Empfehlungen, wie wir uns der Hektik des Alltags widersetzen können. Eine davon ist, beim Warten offen zu sein für eine Begegnung, für ein Gespräch mit einem unbekannten Menschen, den wir wahrscheinlich nie wiedersehen und der uns dennoch einen Impuls für den Tag gibt. Versuchen Sie es mal.
Timo Reuter: Warten. Eine verlernte Kunst, Westend-Verlag
Und ich habe schon mal im September 2016 einen schönen Blog geschrieben zum Thema: Muße statt müssen. sprechperlen.de/musse-statt-muessen-2/
2 Kommentare zu „Warte mal!“
Sehr interessant. Irgendwie war mir nie aufgefallen, dass warten, Wärter und Wartung den gleichen Wortursprung haben. Sehr gut gefällt mir auch der Tipp, beim Warten offen zu sein für Begegnungen und Gespräche mit Fremden. Das ist sicher anregender, als in der Wartezeit auf dem Smartphone herumzudaddeln.
Ich bin ein Warter, der es nie erwarten kann. Das „Mit-Abstand-Warten“ fällt mir viel leichter. Vielleicht, weil man den Fortschritt der Warteschlange besser sehen. Ein schöner Artikel zum Nachdenken und sich selbst erwischen.
Kommentarfunktion geschlossen.