Elefant im Porzellanladen identifizieren

Den Elefanten im Porzellanladen identifizieren

Menschen, die gelegentlich oder regelmäßig schreiben, kennen die Angst vorm ersten Satz. Die Gedanken kreisen, Worte formen sich zu Gruppen und dann verwerfe ich sie doch wieder. Zu platt, zu direkt, zu langweilig, zu irgendetwas. Auch bei Mails gebe ich mir Mühe mit dem ersten Satz nach der Begrüßung. Hier entscheidet sich der Ton der Nachricht an eine Kollegin oder einen Kunden. Manchmal ist der erste Satz wie der Elefant im Porzellanladen, bevor der Leser weiß, worum es geht, liegt das Mail in Scherben.

Besonders häufig kommt das vor, wenn in größeren Unternehmen verschiedene Abteilungen gegenlesen müssen. Dann kann es passieren, dass aus einer ganz normalen Information ein Scherbenhaufen wird. Neulich bin ich über so einen ersten Satz gestolpert. Ein Teilnehmer eines Einzelcoachings stellte mir eine Frage und zeigte mir das Mail, das so begann: „Sehr geehrter Herr xy, Sie wurden identifiziert von unserem Unternehmen als Experte …“ Ich war sehr erstaunt über die Wortwahl und die Grammatikform – den Passiv. Um das Mail in den richtigen Rahmen zu setzen, es sollte eine positive Information sein. Die Firma wollte externe Experten darüber informieren, dass sie bemerkenswerte Experten sind und die Firma gerne mit ihnen zusammenarbeiten will. Also ein positiver Anlass.

Als erstes sticht das Verb „identifizieren“ hervor. Es bedeutet etwas oder jemanden erkennen, wiedererkennen, die Identität feststellen. Es hat lateinische Wurzeln, im 18. Jh. ist es von dem Wort identitas = Wesenseinheit entlehnt worden, einer Ableitung von idem = ebendasselbe.

Hätte der erste Satz des Mails gelautet „Sie wurden als … erkannt“, hätte ich gesagt, der Elefant ist nur auf dem Mittelgang einmal durch den Porzellanladen gestapft. Zumal bei den drei Pünktchen schon stehen könnte „interessanter Gesprächspartner oder kluger Wissenschaftler. Doch es ist der übliche Gebrauch des Wortes „identifizieren“, der mich verstört. Hier ein paar Beispiele: Im Labor identifizierte man die Flecke als Blut. Die Handschrift konnte als Jugendwerk des Dichters identifiziert werden. Eine Leiche identifizieren. Anhand der Fingerabdrücke wurde der Mann als der Einbrecher identifiziert. Merken Sie was? Das sind alles sehr unangenehme Dinge. Selbst der Dichter, dessen Handschrift identifiziert wurde, ist schon mausetot.

Ich sehe bei dem Wort „identifizieren“ einen Filmausschnitt vor meinem Auge, wie sich Bruce Willis im Kinofilm „Das 5. Element“ als Taxifahrer im futuristischen New York in seiner Wohnkapsel mit beiden Händen links und rechts der Tür zum Fingerabdruck-Check identifizieren muss. Alles sehr unangenehme Vorgänge. Jetzt kommt zu der missglückten Wahl des Verbs auch noch die Grammatikform des Passivs dazu. „Sie wurden identifiziert von Unternehmen xy“. Der Elefant hat sich jetzt mit lautem Geschepper umgedreht. Das graue Elefantenhinterteil hat eine ganze Vitrine umgestoßen– nicht absichtlich natürlich. Das Passiv ist die Leidensform, die angesprochene Person ist nicht Subjekt, sondern nur Objekt. Das wird bei dem Satz „Der Patient wurde operiert“ klar, denn der Patient liegt da und andere operieren ihn. Die anderen – hoffentlich Ärzte – werden nicht genannt.

Wie kann der erste Satz des Mails anders klingen? Hier eine Idee: „Sehr geehrter Herr xy, wir haben ihr neues Buch/Interview/Studie gelesen und finden es sehr spannend. Sie passen mit Ihrer Expertise gut zu unserem Unternehmen.“ Im Vergleich zu: „Sie wurden identifiziert von Unternehmen xy als…“.

Jetzt können Sie sagen, naja der Angeschriebene wird doch sicher weiterlesen? Ich weiß nicht. Ich hätte keine Lust dazu und obendrauf noch ein schlechtes Gefühl. Von daher liebe Mail-Schreiberinnen und Schreiber. Überlegen Sie gut, wie der erste Satz lautet. Und falls es ein Mail ist, das durch die Fachabteilung, Marketing, Legal, HR und wieder zurück zu Ihnen kommt und jedwede Empathie auf der Strecke geblieben ist, dann lohnt es sich immer, sich für andere Worte einzusetzen.

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