Brutale Kekse

„Ein differenzierter Wortschatz bringt differenzierte Persönlichkeiten hervor.“ Dieser Satz hat es in sich. Er stammt von meiner Sprach-Lehrerin. Was das mit Keksen zu tun hat, ist das Thema dieses Blogs.

Meine Geschäftspartnerin Britta Sander und ich haben neulich einen Workshop zum Thema „friedliche Sprache“ gehalten. Die Aufgabe war, Beispiele für versteckte Gewaltausdrücke zu finden. Eine junge Frau sagte: „Ich habe gerade vorhin zu meiner Freundin gesagt: Der Keks schmeckt brutal gut.“ Alle Teilnehmer, die meisten zwischen 18 und 25 Jahren,  waren sich einig, dass weder ein Keks noch sein Geschmack brutal sind. Die schwierigere Aufgabe war dann, den Geschmack zu beschreiben. Was ist denn ein Keks außer lecker? Wie ist der Geschmack? Ein Keks kann nussig, schokoladig oder auch zitronig schmecken. Wie ist seine Konsistenz? Der Keks kann knusprig sein oder weich. Mürb, auf der der Zunge zergehend, luftig oder fest. Er kann verschiedene Schichten haben oder Mandelsplitter obendrauf oder ein Kleks Marmelade in der Mitte. Rund oder eckig, selbstgemacht oder selbstgekauft. Die Teilnehmer des Workshops brauchten einige Minuten, um diesem Keks eine einzigartige, kurze Beschreibung zu geben. Danach waren sie begeistert, wie gelungen die Keksbeschreibung war. Und alle hatten Lust auf Kekse.

Darum geht es. Worte wie toll, schön oder auch geil, krass, nice  und lol – wenn ich an meine Kinder denke – tun nur kund, ob etwas gut oder schlecht war. Daumen rauf oder runter, wie bei Facebook, bloß nicht ins Detail gehen. Neulich sagte mein 10jähriger Sohn: „Der Tag war krass schön, echt geil.“ Als Deutsch liebende Mutter bekomme ich schon bei den Formulierungen Schnappatmung. Schwamm drüber. Heranwachsende brauchen andere Worte, um sich von den Eltern und anderen Erziehungsberechtigten abzugrenzen.

Worum es mir geht, war die Nachfrage: „Warum war dein Tag schön?“  Oft kommt dann ein unwilliges „Weil halt.“ Ich bleibe dran „Was hat dir Spaß gemacht?“ „Naja, ich hatte früher aus, weil hitzefrei war und dann durfte ich mit meinen Kumpels an den Dampfersteg.“ Ich bleibe weiter dran, es ist wie Diamanten schürfen. Am Ende sind alle Details da. Er hatte keine Hausaufgaben auf. Ich hatte ihm erlaubt, früher aus der Mittagsbetreuung heim zu kommen und dann mit einer Horde andere Jungs zum See zu radeln und zu baden und vor allem vom Steg zu springen. Es war so warm, dass er nur mit seiner Badeshorts und T-Shirt losfuhr und das Handtuch um den Hals legte. Zum See geht es den Berg runter, der Fahrtwind war warm auf seiner Haut. Die Sonne war bis am späten Nachmittag heiß. Am Abend haben wir alle zusammen zu Hause gegessen. Ich hatte Nudeln gekocht und ihm noch erlaubt, kurz mit dem Handy zu spielen. Ein perfekter Tag für einen 10jährigen. Ohne Nachfrage wäre es bei krass schön geblieben. Er hätte nicht reflektiert, was so schön war und ich hätte nur bemerkt, dass er gut gelaunt ist.

Das ist ein wichtiger Prozess. Überlegen und dann laut aussprechen, was hat mir gefallen. Diese Analyse ist wichtig, vor allem wenn sie in die andere Richtung geht. Daumen runter. Warum war der Tag ätzend? Wir alle haben jeden Tag die Möglichkeit, genau hinzuschauen und es dann in passende Worte zu kleiden. Das macht etwas mit unserem Empfinden für unsere Umwelt und uns selbst. Mit einer passenden, differenzierten Sprache entwickeln wir uns zu differenzierten Persönlichkeiten. Das sind die, die immer gute Ideen haben. Die konstruktiv handeln können, weil sie genau wissen, wo sie den Hebel ansetzen können. Wie war Ihr Tag? Und warum?

1 Kommentar zu „Brutale Kekse“

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