Neujahrsblick

Neujahrsblick

Ich habe gerade eine wundervolle Auswahl an Büchern neben meinem Bett stehen. Krimis, Romane und auch Sachbücher. Da es so früh dunkel wird, habe ich ungefähr ab neun Uhr abends das Gefühl, ich könnte jetzt schon ins Bett gehen und noch etwas „lesizifieren“. Das Wort lesifizieren gibt es so nur in meiner Familie, denn wir sind Freunde der „Neologie“ also der Worterfindung. Wir erfinden viele Worte, manche sind lautmalerisch, andere normale Verben mit Phantasieendungen, wie lesifizieren oder frühstückifizieren. Und die Neologie wiederum ist eines der aus dem Duden verschwundenen Worte. Das bringt mich zum ersten von drei Büchern, die neben meinem Bett stehen und etwas mit Sprache zu tun haben und über die ich in diesem Blog schreibe.

Zunächst von Peter Graf die Sprach- und Kulturgeschichte „Was nicht mehr im Duden steht.“ Jedes Jahr gibt es neue Worte, die in den Duden aufgenommen werden, darüber wird sogar berichtet. Andere fallen deswegen raus. Darüber schreibt Peter Graf. Eine Zusammenstellung dieser herrlichen Worte liest sich häppchenweise in 20 Kapiteln, darunter auch das „Neujährchen“ (eine Hefegebäck) und“ nonen“, einen Mittagsschlaf halten – das klingt doch viel weicher und friedlicher als „powernapping“.

Dann wird es politischer in meiner Buchauswahl. Mein derzeitiger Favorit ist das Buch „Wer wir sein könnten“ von Robert Habeck. Der Parteivorsitzende der Grünen ist von Hause aus Schriftsteller und Doktor der Philosophie. Sein neuestes Werk hat den Untertitel „Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“. Robert Habeck beginnt mit der Feststellung „Sprache schafft die Welt“ und endet mit dem Kapitel „Die wahre Herausforderung:  Zuversicht.“  Robert Habeck schaut genau hin, nimmt viele Worte die von rechts kommen unter die Lupe und genauso Worte aus dem linken oder grünen Spektrum, egal ob „Flüchtlingswelle“ oder „Ackergift“, beide Worte sollen vor allem Angst machen. Wenn wir von Flüchtenden und Pestiziden sprechen, schwingt weniger Bedrohung mit. „Denn wie wir sprechen, entscheidet darüber, wer wir sind. Und wer wir sein könnten. Nur was wir sagen können, können wir denken. Was wir aussprechen wird Wirklichkeit.“ Wie wahr.

Das Schöne an Sachbüchern für den täglichen Gebrauch ist, dass sie heutzutage meist in kurzen Kapiteln mit knackigen Überschriften geschrieben sind. Ein Kapitel schaffe ich immer, auch wenn mir die Lider schwer werden und ich „schlummizifieren“ (meine Wortschöpfung für schlafen) will. So auch in meinem nächsten Exemplar „No More Bullshit – Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“.  Herausgegeben hat es die Sorority, das ist ein unabhängiges Frauennetzwerk aus Österreich.  Eines der 15 Kapitel befasst sich mit dem Thema: „Welche Rolle spielt Sprache?“. Die Autorin, Karin Wetschanow, geht darauf ein, dass wir uns oft Metaphern bedienen, um unsere komplexe Umwelt einfacher zu gestalten … und dabei die Wirkung übersehen, die die Metaphern selbst haben. „So nutzen wir etwa das Wortfeld der Kriegsführung, um Diskussionen zu beschreiben.  Wir attackieren mit Worten, tragen Wortgefechte aus und bringen stichhaltige Argumente vor.“ Wie wären unsere Diskussionen, wenn wir Ballspiel-Metaphern nutzen würden? Wir würden uns Worte zupassen, Argumente aufspielen und Gegenargumente abstoppen. Das klingt doch ganz anders? No more Bullshit ist ein Buch für jede Frau und für jeden Mann, der an eine gleichberechtigte Welt glaubt.

Ich komme zum Ende dieses Blogs. Alle drei Bücher öffnen den Horizont für etwas Neues, sie sind „transeunt“. Dieses Wort verschwand schon vor meiner Geburt aus dem Duden und bedeutet in der Philosophie „über etwas hinausgehend.“ Ein guter Wunsch fürs neue Jahr – für 2019 wünsche ich allen Lesern einen offenen Geist für neue Impulse und einen Blick für die Schönheit der ihr innenwohnenden Worte.

„Was nicht mehr im Duden steht – Eine Sprach- und Kulturgeschichte“, Peter Graf, Dudenverlag, S. 90ff

„Wer wir sein könnten – Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“, Robert Habeck, Kiepenheuer und Witsch, S. 11ff

„No More Bullshit: Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“, Hsg. K&S Verlag, S. 38

3 Kommentare zu „Neujahrsblick“

  1. hallo stefanie,
    das sind kluge gedanken, die ich sehr gerne gelesen habe. insbesondere der kritik an der gedankenlosen verwendung kriegerischer vergleiche schliesse ich mich gerne an. die ballspielmetapher ist meiner meinung nach ein klitschko-kleines bisschen schief. weil: wortgefechte führe ich ja prinzipiell mit jemandem, der anderer meinung ist. sportlich betrachtet also einem gegner. einem kontrahenten. ihm (oder auch: ihr) würde ich meine widerworte daher eher nicht zupassen. sondern ihn (alternativ: sie) vielmehr verbal auskontern. oder ihn (genau) ins abseits stellen. flach argumentieren, hoch denken. top matchplan. naja, iich mein ja bloss. ?

  2. Stefanie Windhausen

    Hallo, das sind doch wunderbare Ergänzungen zu dem Thema Ballspiel-Metaphern. Herzlichen Dank für die „Steilvorlagen“.
    Stefanie Windhausen

  3. Danke für die Lesetipps, Stefanie. Das Buch von Peter Grafwerde ich mir wohl bei Gelegenheit besorgen. Solche unbekannten Wörter eignen sich ja hervorragend, um bei der nächsten Diskussion ein elegantes Dribbling hinzulegen.

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