Maximale Eskalation

Neulich bei einem Training in einem großen Unternehmen habe ich ein Wort gehört, dass ich aus einem anderen Zusammenhang kenne. Das Wort lautet „Eskalation“. Ich kenne diesen Begriff so: „Eine Situation oder ein Streit eskaliert.“ Das nimmt ein böses Ende, die Beteiligten überschreiten die unsichtbaren Regeln des Anstands in der Kommunikation. Sie werden Worte brauchen, derer sie sich später schämen. Doch das einmal ausgesprochene Wort kommt nicht mehr zurück. Es bleibt in der Welt, im Gedächtnis des Gesprächspartners. Es gibt keine Funktion „Message widerrufen“.

Noch dramatischer für die Beteiligten ist es, wenn ein bewaffneter Konflikt eskaliert. Dann ist Krieg. Und Krieg ist die Abwesenheit von Menschlichkeit. Sprachlich betrachtet finde ich spannend, dass bei der Formulierung „eine Situation eskaliert“ die Beteiligten passiv dabeistehen. So als ob der Streit oder der Streit mit Waffen von alleine eskalieren würde. Dabei sind es ja die Menschen, die die Situation verschärfen. Jedes Wort eine eigene Entscheidung.

Es gibt noch eine Variante der Eskalation. Sie stammt aus dem Projektmanagement und beschreibt folgende Situation: A streitet mit B. Da beide auf dem gleichen Rang sind, wendet sich einer an die nächsthöhere Hierarchieebene. Die soll Recht sprechen. Die Formulierung lautet dann. „Die Angelegenheit wurde an Herrn oder Frau XY eskaliert.“ Eskalieren bedeutet in diesem Zusammenhang auf die nächste Stufe tragen. Das französische Wort für Treppe escaliere und das englische Wort für Rolltreppe escalator schwingen mit – von der lateinischen Wurzel scalae, was so viel bedeutet wie Leiter, Treppe.

Vom Projektmanagement ausgehend hat diese Formulierung Einzug gehalten in den normalen „Konzernsprech“. Zur Erinnerung: ein Projektmanager hat die besondere Aufgabe, ein Projekt einzuführen und zwar ohne direkte Weisungsbefugnis. Der Projektmanager hat keine Hausmacht, also kein direktes Recht, Leute zur Arbeit oder zu einem Sinneswandel zu zwingen. Deswegen braucht er besonders gute Argumente und gute Kommunikationsfähigkeiten. Wenn etwas gar nicht läuft, berichtet der Projektmanager an denjenigen, der die Weisungsbefugnis hat.

Zurück zum normalen Leben im Konzern. In meinem Fall hatte die eine Abteilung, Warenbestände einer anderen Abteilung genommen und die waren deswegen in Lieferschwierigkeiten gekommen. Das wollten die zweite Abteilung nicht mehr und hat sich beim Oberchef beschwert. Lösung: die erste Abteilung muss jetzt eine besondere Prozedur beim Bestellen bestimmter Artikel durchlaufen und jedes Mal den Oberchef informieren. Die Formulierung dazu lautet: „Ihr müsst ab jetzt die Bestellung eskalieren oder das Produkt muss eskaliert werden.“

Meiner Meinung nach wird mit solchen Formulierungen die Verantwortung verwischt. Wenn ein Produkt eskaliert werden muss, ist doch nicht mehr klar, dass vorher eine Person oder eine Abteilung im fremden Terrain gewildert hat, oder? Also meine Empfehlung lautet da: mehr Mut zu klaren Worten, ohne dass der Streit eskaliert.

1 Kommentar zu „Maximale Eskalation“

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